Der Prix Europa in Berlin ist das grösste Medienfestival für öffentlich-rechtliche Produktionen in verschiedenen Kategorien der Medien Fernsehen, Radio und Multimedia. Seit 1998 nehme ich am Prix Europa teil, mal als Referent, mal als Liveblogger, fast jedesmal als Mitglied der Online-Jury. Eine ganz persönliche Longlist.


Der Prix Europa, ausgetragen von 1987 bis 2018 im Haus des Rundfunks, Berlin; seit 2019 in Potsdam.

Während des portugiesischen Kolonialkriegs (1967-1974) kämpften auf Seiten Portugals hunderttausende Soldaten schwarzer Hautfarbe in Moçambique, Angola und Guinea, die nach der Nelkenrevolution von 1974 von Portugal vergessen und von den neuen afrikanischen Machthabern aus Furcht vor einem Putsch verfolgt und liquidiert wurden. Über Jahre minutiös recherchiert, multimedial, mit Dutzenden thematischen Vertiefungsmöglichkeiten: In der Webdoc For You, Portugal, I Swear (Divergente, Portugal) erzählen die letzten Überlebenden ihre Geschichte.

Covid ist nichts als ein Hoax, einen Krieg gegen die Ukraine gibt es nicht: Die BBC Disinformation Unit, eine Redaktion von BBC 4 aus Journalistinnen, Sprachexperten und Onlineforensikern, entlarvt Verschwörungstheorien und untersucht ihren Einfluss auf die Gesellschaft. Daraus entstanden drei weltweit höchst erfolgreiche Podcastserien, «Death by Conspiracy», «The Anti-Vax Files» und «War on Truth», ebenso wie umfangreiches Hintergrundmaterial für News und Documentaries.

Am 20. Januar 2022 jährte sich die wohl mörderischste Konferenz der Geschichte zum 80. Mal. «Wannsee-Konferenz – die Hintergründe» ist ein Spielfilm und eine Multimedia- und VR-Plattform des ZDF, der die minutiöse Planung der Vernichtung von 6 Millionen europäischer Jüdinnen und Juden reinszeniert. Beides, Film und Website, richtet sich an ein jüngeres Publikum – junge Deutsche, die in ihrer Schulzeit bisher nichts von dieser beispiellosen Verwaltung des industriellen Massenmordes durch das nationalsozialistische Regime erfahren haben.

The Story of the Netherlands (NTR, Niederlande) ist der Versuch, herkömmlichen Geschichtsunterricht zu modernisieren – mit einer Fernsehserie, mit zehn GPS-basierten, «Podwalks» genannten Podcast-Spaziergängen, mit Youtube-Videos und Schulfernsehen, Social Media und vielem mehr. Die Geschichte des Landes für Jugendliche, erzählt mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts.

In Schweden gibt es 30 000 Menschen mit einer Hörbehinderung. Für sie ist Sexy Hands (SVT, Schweden) gedacht, eine schwedische TV-Show inkl. eigener Lern- und Dating-App in Gebärdensprache mit dem Ziel, auch Nichtbehinderte dazu zu bringen, Gebärdensprache zu lernen – mithilfe eines Gebärdensprache-Wörterbuchs, Sprach- und «Sexy-Hands»-Tests sowie Community-Funktionen.

Lem's Galaxy des polnischen Radios Polskie Radio ist eine intergalaktische Reise durch das Ideenuniversum des 2006 verstorbenen Autors und Futurologen Stanislaw Lem («Solaris»), der 2021 seinen 100. Geburtstag hätte feiern können. «Lem's Galaxy» ist ein virtueller Kosmos in 3D, für Desktop und Mobile (polnisch und englisch), der sich an ein junges, Multimedia-affines Publikum richten und dessen Ziel es ist, dem umfangreichen Archivmaterial des polnischen Radios eine zeitgemässe, spielerische Plattform zu geben.

Sexy Pants and Other Problems (YLE, Finnland) ist ein nichtlineares, virtuos handgezeichnetes und animiertes Hörspiel fürs Handy. Die Storyline wurde mittels des Open-Source-Tools Twine konzipiert, die App in React geschrieben. In zehn Minuten für einen Strang der Geschichte und mit zwölf möglichen Schlüssen zeichnen die Macher*innen eine urbane, queere Welt, in der es weniger Diskriminierung von LGBTQIA-Minderheiten und dafür deutlich mehr Spass gibt.

Mit Archive of the Future versucht die Dokusendung «Backlight» des niederländischen Senders VPRO sein Archiv mittels AI und Machine Learning (automatic topic, location, time, image and person detection) in die Medienwelt des 21. Jahrhunderts – und notabene in die Public Domain – zu überführen. Über 500 Dokumentarfilme, durchsuchbar nach Themen, Personen, Orten und thematischen Ähnlichkeit, für ein interessiertes Publikum ebenso wie für Journalismus, Schule und Wissenschaft, gespeichert in einem eigens dafür entwickelten Datenformat und versehen mit einem futuristischen UI: Ein Fernseharchiv der Zukunft eben.

Radio Einstein (Stut Theater, Niederlande) ist eine Podcasting-Station, deren Studio – ein ausgedienter Wohnwagen – auf dem Parkplatz des Flüchtlingszentrums Utrecht steht und die persönlichen Geschichten in Kurzfeatures verwandelt. Naheliegende ebenso wie ausgefallene Sendeideen – ein Künstler, der einen Flüchtling lediglich von Audionachrichten her kennt, gestaltet ein Kunstwerk als Geschenk – machen Radio Einstein zu einem intimen und relevanten Medium zugleich.

Ich bin Sophie Scholl (ARD, Deutschland) ist der Versuch von SWR, BR und Vice, die Geschichte der im Alter von 21 Jahren in München hingerichteten Widerstandskämpferin Sophie Scholl («Die weisse Rose») für ein junges Publikum von heute in ein virtuelles Instagram anno 1942 zu übertragen. Ein Hybrid aus Fiktion und historischer Realität, zwischen Geschichtswissenschaft und Community Management in Text, Foto und (Selfie-)Video, 10 Monate eines jungen Lebens in Echtzeit und Hochformat, am Ende 430 000 User*innen pro Tag und 930 000 Followers: Virtuos erzählte Weltgeschichte, die unter die Haut geht.

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