Wie jedes Jahr seit 1987 gehört die dritte Oktoberwoche dem Prix Europa in Berlin und Potsdam, dem grössten trimedialen Festival Europas für Radio, Fernsehen und Multimedia. Seit 1998 bin ich dabei – gelegentlich als Referent oder Festivalblogger, fast immer als Mitglied der Online-Jury. Im Jahr eins nach Corona allerdings konnte wie so vieles auch der Prix nicht vor Ort stattfinden, was der jährlichen Werkschau des europäischen Onlinejournalismus indessen keinen Abbruch tat. Drei Produktionen stachen ganz besonders heraus: Der fiktionale interaktive Film «La République» (Cinétévé Experience, Resistance Films, France Télévisions), der aus der Handyperspektive dreier Protagonisten den Augenblick eines verheerenden Terroranschlags in Paris dokumentiert, und «Die Befreiung» (Bayerischer Rundfunk, ARD), der auch als web documentary realisierte audiovisuelle Rundgang durch das Konzentrationslager Dachau bei München, das auf der Basis sorgfältig in die heutige KZ-Szenerie gesetzter Fotos und den Stimmen von Augenzeugen den Tag der Befreiung am 29. April 1945 nacherzählt.
Vollends unter die Haut geht das Onlineprojekt «Mil Mujeres Asesinadas» (Tausend ermordete Frauen) des spanischen Radios und Fernsehens RTVE: Die Webdoc gibt eintausend weiblichen Opfern männlicher Gewalt ein Gesicht: Wer waren sie? Wovon haben sie geträumt? Und was geschah am Ende mit den Gewalttätern? Zu Recht wird «Mil Mujeres Asesinadas» mit dem Prix Europa 2020 ausgezeichnet.
Immersiv, intensiv, beklemmend: Onlinejournalismus, anders verstanden als blosse Zweitverwertung von Beiträgen im Internet, ermöglicht eine völlig andersartige, immer wieder neue Auseinandersetzung mit Inhalten und mit Medien. Veranstaltungen wie der Prix Europa, der Jahr für Jahr die besten Produktionen Europas kürt, kommt gerade im Bereich der Neuen Medien eine herausragende Bedeutung zu.